„Ich bin noch nicht so weit.“
Es darf immer wieder Momente geben, in denen du weißt, wohin du willst, aber den entscheidenen Schritt noch nicht gehst.
Niemand weiß so genau, wie viel Anlauf du brauchst, denn niemand von Außen kann sehen, wie groß der Schritt ist, den du dir vorgenommen hast.
Dein Tempo zu gehen, ist in vielen Bereichen des Lebens vollkommen okay. In Wachstumstabellen und Notensysteme hineinzupassen: das musst du nicht ein Leben lang. Und hast es vielleicht auch früher schon nicht; und auch das war okay. Es hat dir vielleicht niemand gesagt, aber in der Normalverteilung gibt es Extreme, und auch aus dem Rahmen zu fallen gehört zum Alltag dazu.
Erlaube dir die Freiheit, größer, kleiner, länger, weiter, breiter, offener, verschlossener zu sein.
Oder aber: noch etwas Zeit zu brauchen.
Solche oder ganz ähnliche Bilder nutze ich oft, wenn Menschen in wichtigen Veränderungsmomenten und Sinnkrisen mich aufsuchen.
Viele Krisen im Leben sind begleitet von Vergleichen und Bewertungen. Diese sind in gewissen Situationen sehr sinnvoll: Normierungen braucht es oft, um etwas einzuordnen und unser Gehirn schreit förmlich „Hurra!“, wenn es etwas in Kategorien sortieren darf. Dies scheint psychische Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Ordnung und Kontrolle zu erfüllen – aber auch wichtig für unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu sein. Sich hinzustellen und offen „noch nicht so weit“ zu sein, „noch einen Moment zu brauchen“, erscheint daher vielen Menschen als gefährlich oder gar fehlerhaft.
Bedürfnisse nach Freiheit, Individualität und Kreativität, sowie Flexibilität und Autonomie wollen jedoch oftmals genauso gewürdigt werden, wie unsere Bedürfnisse dazuzugehören, ein Teil von Gemeinschaften zu sein und nach deren Regeln, Normen und Werten zu leben.
Es erfordert daher eine Brise Mut zu sich zu stehen, die Strecke, die noch vor dir liegt realistisch anzuschauen und ehrlich zu sagen: „Ich bin noch nicht so weit.“
Aber weißt du, was mich davon überzeugt, dass es das Risiko wert ist?
Wenn wir das vorleben und viele den Mut entwickeln zu sagen „Ich auch nicht“, schaffen wir vielleicht realistischere Normen, flexiblere Regeln und tolerantere Werte. Sodass sich auf lange Sicht zu unserem „noch nicht so weit“ ein „okay, lass dir Zeit und dann hol ich dich ab, wo du stehst“ gesellt.